Brutalismus in Hérémence
n den Bergdörfern des Wallis sind mir immer wieder moderne Kirchenneubauten aufgefallen, die allesamt nicht wesentlich älter als 70 Jahre sein dürften. Ein in der Entstehungsphase wegweisendes Objekt, dass inzwischen für Architekturinteressierte sogar einen gewissen Kultstatus erreicht hat, ist die St. Nicolas Kirche in Hérémence.
St. Nicolas Kirche Hérémence
Errichtet wurde diese Kirche Ende der 60-er Jahre des letzten Jahrhunderts. Nur wenige Jahre zuvor, wurde am Talende die gigantische Betonstaumauer La Grande Dixence fertigstellt, die größte Gewichtstaumauer der Welt. Der Werkstoff Beton war also den Bewohnern von Hérémence inzwischen vertraut, wie uns ein örtlicher Busfahrer erklärte. Das dazugehörige Know-how für den Werkstoff Beton war ebenfalls vorhanden und so war es vielleicht gar nicht so überraschend, dass der Kirchenentwurf des Architekten und Bildhauers Walter Maria Förderer am Ende eines Wettbewerbs umgesetzt wurde.
Die massive Präsenz von Beton in der Außen- wie auch der Innensicht wird ganz pragmatisch als Brutalismus bezeichnet, ein Baustil der ab den Wirtschaftswunderjahren bis hinein in die 80-er Jahre des letzten Jahrhunderts weltweit markante Akzente gesetzt hat. Auch wenn dieser Baustil gespaltene Meinungen über gelungen oder nicht gelungen hinterläßt, so muss man aber auf jeden Fall den Betonbauern Anerkennung und Respekt zollen, für die geniale Schalungsleistung, die eine derartige Raumskulptur zutage gebracht hat.
Außen wie auch innen sind die Oberflächen detailliert und reich gegliedert. Der Hohlraum für Holzeinbauten ist exakt frei gehalten und die enorme Höhe, die der gestaffelte Innenraum erreicht, versetzt den Gotteshausbesucher durchaus in eine respektvolle Andacht. Den Innenraum nicht zu besuchen wäre nur dann vertretbar, wenn jegliche Horizonterweiterung kategorisch abgelehnt wird.
Das von Menschenhand als Hohlkörper geschaffene Betongebirge steht in einem spannenden Kontrast zu den natürlichen, gottgeschaffenen Felsgebirgen des Val d‘Hérens.